zurückText.htmlText.htmlshapeimage_1_link_0

Vor der heilen Welt scharf abgebogen.

Zu den Arbeiten der Malerin Franziska Güttler, Leipzig 2011.



Ein Kind, die blonden Haare fast vollständig unter einer dicken Kapuze versteckt, streckt beide Arme nach vorn, als würde es etwas greifen können. Sein warmer blauer Mantel ist in großer Bewegung vor einer kühlen, abweisenden Kulisse. Doch der Griff des Kindes führt ins Leere; es ist mithin kein Fehlgriff, vielmehr eignet sich die Malerin Franziska Güttler die scheinbare Realität der Szene an und verweigert dem gewünschten Gegenstand seinen Auftritt. „Nich lustig (ohne Pferd)“ nennt sie die 2009 entstandene Arbeit, die in ihrer Komposition die entstandene Leerstelle nicht zu schönen versucht, sie vielmehr als Bruch herausfordert und damit nicht nur dem Kind das Schaukelpferd entzieht, sondern auch dem Betrachter die Geschlossenheit der Bildkomposition versagt. Nicht lustig in der Tat, weder für das Kind, dem trotz aller Fürsorge – der blaue, warme Wintermantel – seine gegenwärtige Freude genommen wird, noch für den Beobachter, dem die Bildsituation eher einen Schauder als ein Lächeln entlockt.  Zumal das genommene Spielzeug wie ein Vexierbild zwischen den Schichten des Bildes doch noch aufscheint – nicht fassbar, vielmehr nur als Gedanke hinter Schleiern aus Farben und Flächen. Und so sind viele Szenen in Franziska Güttlers Arbeiten nicht greifbar, sie entziehen sich dem analytischen Zugriff, und erst im Kontext weiterer Bilder lässt sich ihre Notwendigkeit für eine große, umfassende Erzählung erahnen.

Das Schaukelpferd taucht mithin wieder auf, auch in anderen Arbeiten wird es zum unverzichtbaren Ausstattungsgegenstand von Geschichten, denen häufig ähnlich verstörende Stimmungen zugrunde liegen. Gemeinsam mit der rotumrandeten Trommel verweist es in „Twitzel“ aus dem Jahr 2011 auf eine verklärte Erinnerungsschicht, auf das vermeintliche Ideal einer bürgerlichen Kindheit etwa, auf ein Aufwachsen in der Vergangenheit einer heilen Welt. Doch die Bilderwelten von Franziska Güttler sind alles andere als romantisch idealisiert. Fast schon trotzig werden diese Attribute der Harmonie auf der Bildfläche montiert, die eine ganz andere Sprache spricht: Das Unbestimmte, das Unbegreifbare und Unverortbare dominiert, wie in einer Traumszene werden Personen und Gegenstände zu Requisiten, deren Bezug zum Bild außerhalb der Szene gesucht werden muß. Diese Verbindung des schönen Scheins mit dem Verstörenden zieht sich als ein Leitmotiv durch die Arbeiten. Und diese Spannung wird nicht allein durch die Inszenierung der Themen, sondern durch die eingesetzte Farbigkeit erreicht. Strahlendes Himmelblau, leuchtendes Goldocker und sich aufdrängendes Altrosa sind in vielen Arbeiten von Franziska Güttler zu finden – oft sehr dominant, doch häufig auch nur in homöopathischen Dosen. Nahezu überall liefert sich dieses Licht einen Zweikampf mit erdigen, gedeckten und kalten Farben, der stets ohne Sieger bleibt.

Doch es ist nicht nur der Dualismus zwischen Licht und Dunkelheit, der im Werk von Franziska Güttler eine große Rolle spielt, auch das Spannungsfeld von Gegenwart und Vergangenheit ist für sie maßgeblich. Historische Fotografien bilden oft die gedankliche Vorlage für Ihre Figuren, verschiedene ihrer Posen und Gesten erinnern an die vor- und frühmoderne Malerei des 20. Jahrhunderts, dann wiederum wird man wieder in zeitgenössische Szenerien versetzt. Hängerkleidchen und Kapuzenpullover gehören gleichermaßen zur durchgehenden Ausstattung ihrer Arbeiten wie Schaukelpferde und elektrische Lichterketten. Die Motive oszillieren zwischen Gegenwart und Vergangenheit, vermischen mitunter beides und heben sie unter, auf und neben Farbschichten, die zeitlos aus purer Freude an der Malerei entstanden sind.

Der historische Rückgriff ist jedoch weit mehr als die Suche nach einem Sujet. Bereits während ihrer Ausbildung in Leipzig und Dresden hat sich Franziska Güttler mit Märchen und Sagen, aber auch mit tradierten Volks- und Kinderliedern beschäftigt und arbeitet bis heute mit diesen Stoffen. Die Reibungsflächen, die ihre Arbeiten ausmachen, finden maßgeblich hier ihren Ursprung. Gerade in märchenhaften Erzählungen steht das Dunkle dem Hellen, das Wahre dem Falschen gegenüber, auch hier sind Ort und Zeit unbestimmt, werden sonderbare Situationen im Alltäglichen sichtbar. Realitäten und Phantasien vermischen sich in Franziska Güttlers Arbeiten märchenhaft und versetzen so den Betrachter in einer ungeklärten, oft Frösteln hervorrufenden Stimmung. Dabei sind es nicht die lauten und offensichtlichen Zaunpfähle, mit denen die Künstlerin hantiert. Es sind vielmehr die subtilen Nebensächlichkeiten, die Heimlichkeit, das Flüstern, die zaghaften und oft unentschlossenen Gesten des Figurenarsenals, die für diese Grundstimmung sorgen. Oft in der Bewegung erstarrt, eingefroren in Transzendenz treten dem Betrachter die Personen gegenüber. So stehen in der Arbeit „stiller“ zwei junge Menschen dicht beisammen, man möchte zunächst an die Verschmelzung der Gestalten wie in einigen bekannten Werken von Edward Munch denken; doch nur die Figurengruppe wird zur Einheit, die Binnenzeichnung und -farbgebung zum einen, die Haltungen und Gesten der Akteure zum anderen zeigen, wie unvereinbar es ist in dieser einen Form zugeht. Die Gleichzeitigkeit von vertrauter Nähe und unbestimmter Distanz erzeugt jene Stimmung, mit der hier gespielt werden soll. Wie so oft in den Arbeiten Franziska Güttlers ist nicht der Ausgang der Geschichte von Bedeutung, sondern vielmehr jener Augenblick, in dem sich Zustände und Haltungen ändern. Es scheint, als würde sich etwas Beängstigendes, Unheilvolles wie ein Vorhang über die Szene legen, die nicht zu Ende erzählt werden muß, um ihre ganze abgründige Wirkung zu entfalten.

Vielleicht ist es „bubobubo“ aus dem Jahr 2009 – der Uhu, der in einer Arbeit vieles von Franziska Güttlers Werk zusammenfassend aufzeigt: Er ist Unglücksbote und Glücksbringer zugleich, seine aktive Zeit liegt in der Dämmerung, zwischen hellem Tag und dunkler Nacht. Auf dem 130x150 großen Tableau blickt er, fast mannshoch, unbeteiligt aus der Szene. Die sonderbaren irrlichternden Erscheinungen im Hintergrund scheint er zu ignorieren.  Ist er am Ende vielleicht doch nicht mehr als nur ein wirklich sehr schöner Vogel? Wohl kaum.